Debian - ein Erfahrungsbericht
Eigentich war dieser Beitrag als Abschluss meiner Debian-Reihe zum einjährigen Installationsjubiläum geplant, nun muß ich mich beeilen, die Veröffentlichung noch vor dem offiziellen Release von Debian Bullseye zu schaffen. Letztendlich liegt dies daran, daß es eigentlich nur wenig zu berichten gibt, denn
Debian is a bit boring in a good way.
Quelle
Kurzfazit
Nach inzwischen rund eineinhalb Jahren mit Debian Buster sowohl auf zwei Desktop-PC als auch auf zwei Laptops kann ich bestätigen: es läuft und läuft und ich hatte wahrscheinlich seit Windows 2000 kein im positiven Sinn so langweiliges Betriebssystem mehr auf einem meiner Rechner.
If you choose to use Debian Stable, you´ll have one of the most dependable and trouble free computing experiences of your life.
Quelle
Installieren, konfigurieren und anschließend die Kiste einfach für das verwenden, für was sie angeschafft wurde, ohne sich ständig mit dem Unterbau beschäftigen zu müssen.
Installation
Für die letztendlich verwendete Systemkonfiguration waren mehrere Anläufe notwendig.
Wie immer bei einem neuen Betriebssystem sollte man genügend Zeit (so 1-2 Tage) einplanen und hat idealerweise eine Platte zur Verfügung, auf der nach Herzenslust installiert und experimentiert werden kann. Der von mir gewählte Weg war, mit Hilfe einer Vollinstallation erst einmal den kompletten Lieferumfang verschiedener Desktopumgebungen zu sichten und auszutesten, bevor die bevorzugten Programme dann bei der abschließenden “richtigen” Installation über den Paketmanager einer “Core”-Installation hinzugefügt wurden.
Hilfreich ist eine virtuelle Maschine, in der Konfigurationsänderungen oder Zusatzinstallationen getestet werden können, bevor sie entweder ins Echt-System übernommen oder Dank Snapshots verworfen werden können.
Stabilität
Once installed, basic maintenance requires next to no intervention; updates will almost never break existing system.
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Das Vertrauen in die Stabilität von Debian hat sich ausgezahlt, in mehr als einem Jahr gab es keinen Absturz oder Hänger des Betriebssystems und der Rechner steht zuverlässig für die tägliche(n) Arbeit(en) zur Verfügung. Auch hat es noch kein Update geschafft, daß irgendwas hinterher nicht mehr funktioniert hat. Wichtig ist allerdings, sich wenn immer möglich aus den offiziellen Repositories zu bedienen und kein FrankenDebian zu erschaffen.
Alter der Software
Debian Stable haftet der Ruf an, “alte” Software zu verwenden. Dies ist Anssichtssache, denn natürlich ist eine gewisse Reife gleichzeitig der Preis für Stabilität. Der Software-Freeze für Debian Buster war im Februar 2019, d.h. zu diesem Zeitpunkt wurde die Version der verwendeten Software “eingefroren” und seither nur noch mit Sicherheits-Patches und Fehlerkorrekturen aktualisiert. Die Programmversionen ändern sich nur noch in wenigen Ausnahmefällen wie z.B. bei Firefox und Thunderbird, wo innerhalb des aktuellen ESR-Zweiges die Versionssprünge in dem Moment nachgezogen werden, in dem die bisherige ESR-Version keine Patches mehr vom Hersteller erhält.
Verglichen mit dem ersetzen Windows 7-System (erschienen 2009) und dem darauf installierten Office XP (erschienen 2001) sind die mitgelieferten Programmversionen immer noch brandaktuell.
Sollte tatsächlich einmal eine aktuellere Version benötigt werden, so hilft ein Blick in die Backports, in denen für die aktuelle Stable-Version rückportierte Versionen aus der Test-Version angeboten werden.
Desktopumgebung
Als Desktopumgebung ist hier seit dem ersten Tag GNOME im produktiven Einsatz. Zwischenzeitlich wurden in der virtuellen Maschine auch (noch)mal KDE, Xfce, Cinnamon und Mate angetestet, aber letztendlich nicht als alltagstauglich(er) empfunden.
Sofern man bereit ist, sich auf zumindest einen Teil der Philosophie einzulassen, bietet GNOME eine aufgeräumte und klar strukturierte Umgebung, welche man im Falle des Falles mit der einen oder anderen Erweiterung anpassen kann. Wer allerdings versuchen will, sich GNOME à la Windows zurechtzubiegen, der sollte lieber einen Blick auf die anderen Umgebungen werfen.
Schade ist, daß die Sparsamkeit der GNOME-Entwickler manchmal auch sinnvolle Einstellungen einspart. Bei GNOME-Music zum Beispiel, dem man leider nicht abgewöhnen kann, nach aus Entwicklersicht fehlenden Coverdateien und Metadaten im Internet zu fischen.
Software
Wer von einem Betriebssystem zu einem anderen wechselt, verwendet - wenn sich außenrum schon so vieles ändert - gerne zumindest die gewohnten Anwendungen weiter.
Browser: Mozilla Firefox
Wer bereits Firefox einsetzt, hat Glück, denn dieser ist auch bei einer Core-Installation von GNOME in der ESR-Variante direkt mit im Gepäck, es fehlt nur noch die Installation des deutschen Sprachpakets, dann kann man direkt loslegen.
$ sudo apt install firefox-esr-l10n-de
Theoretisch sollten sich die Daten einer Windows-Firefox-Installation weiterverwenden lassen, die unter Windows im Verzeichnis “%APPDATA%…” befindlichen Daten müssen einfach nur nach “~/.mozilla” kopiert und ggf. die Klein- bzw. Großschreibung des Ordners angepasst werden.
Rein praktisch ist so ein Umzug immer eine gute Möglichkeit, aufzuräumen und nicht mehr benötigte Plugins auszumisten. Zumdem wird mit großer Wahrscheinlichkeit ein Downgrade der Firefox-Version (z.B. von 70 auf 60.8ESR) durchgeführt, so daß manche Einstellung nicht mehr funktionieren wird.
Die meisten Plugins bieten eine Möglichkeit, die Einstellungen zu ex- und auch wieder zu importieren, das Gleiche macht man mit den Lesezeichen. Wer darüberhinaus seinen Firefox noch etwas besser und sicherer einrichten will, dem sei ein Blick in das Firefox-Kompendium von Mike Kuketz empfohlen.
E-Mail: Mozilla Thunderbird
GNOME bringt als Standard-Kommunikationsprogramm Evolution mit, welches sich aber nicht nur veraltet aussieht, sondern sich in mancher Hinsicht auch so anfühlt. Da sowieso schon Firefox im Einsatz ist, ist Thunderbird als E-Mail-Client eine Überlegung wert. Die Installation ist schnell erledigt:
$ sudo apt install thunderbird thunderbird-l10n-de
Anschließend gilt auch hier das Gleiche wie für Firefox: Theoretisch sollte ein einfaches Kopieren des Thunderbird-Ordners reichen, allerdings kommt es auch hier beim Downgrade u.U. zu Problemen. Die einfachste und sicherste Möglichkeit ist, in Thunderbird ein neues Profil anzulegen und anschließend aus dem Thunderbird-Ordner unter “%APPDATA…” den Unterordner “Local Mail” nach “…” zu verschieben.
Office: LibreOffice
Wenn unter Windows sowieso schon LibreOffice im Einsatz war, ist alles bestens. Wenn noch Microsoft Office verwendet wurde, sollte über einen Wechsel zu LibreOffice nachgedacht werden. LibreOffice bietet eine stabile Basis, Texte, Tabellen, Präsentationen und Datenbanken zu beabeiten, MS Office-Dokumente zu öffnen und weiterzuverwenden - und das ganz (noch?) ohne Ribbons.
Die Installation kann analog zur Desktopumgebung erfolgen, in dem zuerst lediglich das “libreoffice-core”-Paket installiert wird und dann die weiteren Pakete nachinstalliert werden. Besonders wichtig ist hierbei das Paket “libreoffice-gnome”, welches dafür sorgt, daß man sich optisch nicht direkt wieder in Windows 95-Zeiten zurückversetzt wähnt.
$ sudo apt install libreoffice-core libreoffice-writer libreoffice-calc libreoffice-impress libreoffice-l10n-de libreoffice-help-de libreoffice-gnome
Programmierung: Sublime Text
Beim Lieblings-Texteditor musste keine Umgewöhnung erfolgen, denn Sublime Text ist sowohl nativ für Windows, Linux und MacOS erhältlich. Auf die Einbindung des Hersteller-Repositories wurde verzichtet und stattdessen der zum Download angebotene Tarball verwendet und unter “/opt” entpackt.
Bei den Konfigurationsdateien, die nach “~/.config/sublime-text-3” kopiert werden können, ist lediglich zu beachten, daß es getrennte Tastaturbelegungen für Windows und Linux gibt (“Default (Windows).sublime-keymap” vs “Default (Linux).sublime-keymap”).
Musik: Quod Libet
Die erste Wahl eines Abspielprogramms könnte unter GNOME zu “gnome-music” führen, jedoch leidet dieses Programm massiv unter dem “Weniger ist mehr”-Paradigma: Nicht nur, daß es keinerlei Einstellmöglichkeiten und -optionen gibt, das Programm baut auch ungefragt (und NICHT abschaltbar) eine Verbindung zum Internetdienst Musicbrainz auf, um Cover und sonstige Bilder zu den auf der Platte gefundenen Musikdateien herunterzuladen und somit den Metadatenbestand der eigenen Musiksammlung auf einem fremden Server zu dokumentieren. Eine entsprechende Abschaltoption ist auf Gitlab zwar in Diskussion, bisher aber noch nicht umgesetzt.
Als deutlich angenehmere Alternative präsentiert sich Rhythmbox, das im ersten Moment an foobar2000 erinnert und über zahlreiche Plugins erweiter- und konfigurierbar ist, sich ab und an aber leider bei größeren Musiksammlungen verschluckt.
Als schlanke und zuverlässige Lösung hat sich letztendlich Quod Libet entpuppt, zu installieren mittels
$ sudo apt install quodlibet
CD brennen: Brasero
Wenn auch heute Dank Onlinespeicher und USB-Sticks lange nicht mehr so häufig benötigt wie noch vor ein paar Jahren, so wird ab und an ein Programm zum Brennen von CDs benötigt. Brasero ist der GNOME-Standard und erinnert in seiner Schlichtheit an ImgBurn, welches unter Windows ebenfalls zuverlässig seine Dienste verrichtet hat.
$ sudo apt install brasero
Altlasten
Für zwei Programme wurde kein adäquter Ersatz in den Repositories gefunden: Exact Audio Copy und Adobe Photoshop, welche beide unter Wine ihren Dienst verrichten.
Graphik: Adobe Photoshop
Auch wenn GIMP installiert und inzwischen für viele Alltagsaufgaben im Einsatz ist, gibt es immer noch ein paar Bereiche, in denen das Gnu Image Manipliation Program nicht an Adobe Photoshop heranreicht. Die vorhandene CS5-Lizenz lässt sich mit ein paar Kniffen installieren und arbeitet auch weitestgehend zuverlässig, auch wenn der ein- oder andere Dialog manchmal klemmt und erst durch den Wechsel in ein anderes Fenster wieder reaktiviert werden kann.
CD-Ripping: Exact Audio Copy
Ebenfalls alternativlos ist Exact Audio Copy, welches Dank Wine problemlos mit Linux harmoniert. Es gibt zwar eine ganze Reihe an theoretischen Alternativen, wenn man sich aber durch die zahlreichen Treads in den Hifi-Foren wühlt, wird schnell klar, daß Quick and Dirty auch mit anderer Software möglich ist, für möglichst bitgenaues, sicheres Auslesen aber kein Weg an EAC vorbeiführt.
Alltagshelferelein
Ein Punkt, weshalb der Umstieg recht reibungslos verlief war, daß ein Großteil der selbst erstellten Alltagshelferlein in Perl geschrieben waren. Zwar musste die eine oder andere Win32-Bibliothek durch das entsprechende Linux-Pendant ersetzt werden, aber im Großen und Ganzen waren die benötigten Änderungen minimal, was auch daran liegt, daß sich Perl unter Linux deutlich mehr zu Hause (an)fühlt als unter Windows.
Kleinkrams
Den FTP-Client “FileZilla” gibt es auch für Linux und das Weiterverwenden der Konfigurationsdateien funktioniert klaglos, ebenso wie “KeePassXC” problemlos mit den Windows-Keepass-Dateien klarkommt. Zu der bereits installieren Software kommt noch jede Menge Kleinkram und Alltagshelfer, die bei Bedarf aus den offiziellen Quellen installiert werden.